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Schritt für die Kinder

31. Oktober 2011
Hemera aussen

THERAPIEKONZEPT In der neuen Hemera-Klinik werden Kinder- und Erwachsenenpsychiatrie zusammengeführt.
Bad Kissingen – Die Gerüste sind gestellt, die Außenrenovierung weitgehend erkennbar. Die Entkernungarbeiten im Inneren sind abgeschlossen,
der Neuausbau kann beginnen. Und Harald Barlage, Geschäftsführer der neuen Hemera-Klinik GmbH, hat ein ehrgeiziges Ziel:

“Am 1. Januar soll die Klinik eröffnet werden.” Und er ist sicher, dass das klappt.

Das wäre an sich keine Nachricht. Die steckt in dem, was in dem ehemaligen “Haus Maria Amalie” an der Schönbornstraße verwirklicht werden soll: eine psychiatrische Klinik, die spezialisiert ist auf Kinder- und Jugendtherapie. Barlage: “Wir sind die ersten in Deutschland, die ein solches Konzept nicht nur entwickelt haben, sondern auch wirklich umsetzen.”

Das Besondere daran erläutert die designierte Chefärztin Claudia Mehler-Wex, Professorin an der Universität Ulm: “Unsere Patienten kommen aus dem Altersbereich 14 bis 27 Jahre. Damit wird in der psychiatrischen Betreuung ein Bruch vermieden.” Denn üblicherweise wechseln Patienten, wenn sie 18 Jahre alt werden, von der Kinder- und Jugend- in die Erwachsenenpsychiatrie. Und das verkraften viele nicht, weil sie in ihrer Entwicklung noch nicht weit genug sind. Außerdem ist für die Erwachsenen die Betreuung wesentlich weniger intensiv. Harald Barlage: “Die haben am Tag vielleicht drei Termine, an denen mit ihnen gearbeitet wird. Aber ansonsten sind sie auf sich selbst gestellt.”

Der Zeitpunkt, wann der Wechsel geboten ist, kann so von den Fachleuten flexibel festgelegt werden, denn beide Facharztrichtungen werden im Haus Hand in Hand arbeiten. Das Ziel der Behandlung ist nicht nur die Therapie an sich, sondern auch die Wiedereingliederung in das gewohnte familiäre, schulische oder berufliche Umfeld. Und die erfordert eine intensive und auch personalintensive Betreuung.

Die Zahlen sprechen dabei eine deutliche Sprache: Im Haupthaus werden in 14 Doppel- und 15 Einzelzimmern Plätze für 44 Patienten geschaffen werden. “Die sind natürlich nicht alle schon am Eröffnungstag da”, betont Harald Barlage – ganz abgesehen davon, dass der Klinikbetrieb erst 14 Tage später angeschoben wird und sich entwickeln muss. Aber wenn er läuft, wenn die Vollauslastung erreicht ist, dann braucht die Klinik nach ihrem Konzept 60 bis 70 Mitarbeiter. Denn es ist nicht nur der klinische und der Verwaltungs- und Organisationsbereich abzudecken, sondern auch der sozialpädagogische. “Wenn die jungen Leute wieder Spaß an ihrem Leben bekommen sollen, dann können wir sie nicht sich selbst überlassen”, betont Claudia Mehler-Wex, “dann müssen wir ihren Tag strukturieren und für sie individuelle Aktivitäten in Schule und Beruf entwickeln und anbieten. “Und das ist sehr personalintensiv, erfordert die Präsenz der verschiedensten Berufe. Denn die jungen Leute sollen, wenn sie in ihrer Therapie so weit sind, mit kleinen Praktika wieder an ihren Beruf herangeführt werden, wenn Realitätskontrolle und Belastungserprobung grünes Licht signalisieren. Und Kinder, die noch in die Schule gehen, dürfen den Anschluss an den Unterricht nicht verlieren, denn schließlich werden sie, so Mehler-Wex, mindestens sieben Wochen in der Hemera-Klinik bleiben: “Mit den Schulleitern in der Stadt sind bereits die einschlägigen Gespräche geführt worden. Die sind in Sachen Gastschüler alle sehr kooperativ. Und Kinder, die aus der Region kommen, können auch in ihre angestammten Schulen gehen.”

Eine Akutstation beispielsweise für suizidgefährdete oder gewaltbereite Kinder wird es in der Hemera-Klinik nicht geben. Behandelt werden hier die “klassischen Störungen wie Ess- oder Angststörungen, Depressionen, zwanghafte Persönlichkeitsstörungen, Anpassungsschwierigkeiten, Probleme in der Alltagsbewältigung. “Die Kinder, die zu uns kommen, sind in einer vulnerablen Phase zu uns. Da kommen Pubertät, Loslösung von der Familie, Berufseintritt und viele andere Faktoren zusammen”, sagt die Chefärztin. Wenn sie kommen können: Die Warteliste reicht für ein halbes Jahr.

Saale Zeitung, 20. Oktober 2011 – Thomas Ahnert