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Struktur für das Leben

23. April 2012

Psychotherapie “Was hat Dich geärgert?”, fragt Musiktherapeut Raimund Wiener. Die junge Frau holt weit aus, haut mit dem Paukenschlägel auf das blaue Plastikfass, lässt ihren Gefühlen freien Lauf. Sie ist Patientin in der Hemera Klinik, die seit Februar dieses Jahres die Klinik-Landschaft in Bad Kissingen bereichert.

Die Hemera Klinik ist keine Reha-Klinik sondern ein Akut-Haus für Jugendliche und junge Erwachsene bis 27 Jahre mit seelischen Erkrankungen. Und damit bundesweit einmalig. Weil hier nicht nur Jugendliche, sondern auch junge Erwachsene therapiert werden, sagen Chefärztin Claudia Mehler-Wex und Geschäftsführer Harald Barlage.

“Erwachsenen-Psychiatrie ist eine ganz andere Welt mit ganz anderen Problemen,” so die leitende Medizinerin weiter. Junge Leute mit Mitte 20, die in die Erwachsenenpsychiatrie landen, begegnen meist Leuten im Alter von 50 aufwärts, die zum wiederholten Male da sind. “Da werfen jüngere Menschen leicht die Flinte ins Korn,” sagt Barlage. Außerdem bräuchten Jugendliche manchmal mehrere Therapiezyklen und müssten ansonsten, sobald sie 18 sind, in die Erwachsenen-Klinik.

An die Zielgruppe angepasst

Die Hemera Klinik hat sich auf die typischen Probleme ihrer Zielgruppe eingestellt. Es geht um Menschen, die sich noch in der Schule oder in der Ausbildung befinden oder die sich beruflich orientieren. Gerade der Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter wartet mit vielerlei Problemen auf. Die Folge können unter anderem Essstörungen, Depressionen, Angst- und Zwangserkrankungen sein.

Ein typisches Problem junger Leute ist die Magersucht. “Es handelt sich um junge Menschen, die stark untergewichtig sind und dennoch abnehmen wollen, durch strenge Diät bis hin zum künstlichen Erbrechen und der Einnahme von Abführmitteln,” erklärt die Chefärztin. In der spezialisierten psychiatrischen Klinik Hemera wird das Gewicht über die Ernährung stabilisiert, es gibt Belohnungen für das Zunehmen. “Vor allem aber arbeiten wir psychotherapeutisch an den Ursachen,” sagt Frau Mehler-Wex.

Struktur in den Tag

Auch depressive junge Menschen, die Schule oder Arbeitsplatz nicht mehr aufsuchen, sind in der Hemera Klinik richtig. Einer der Patienten hat seine Tage nur noch im Bett zugebracht. “Hier geben wir dem Tag eine Struktur, jeder Patient bekommt einen Wochenplan mit Psycho-, Musik-, Kunst und Bewegungstherapie.” sagt die Chefärztin. Schüler erhalten Unterricht, es gibt Arbeitstherapie in Form von Garten- und Büroarbeit. Und es gibt Freizeitangebote.

Langsam hochfahren

“Die Klinik ist gut angelaufen,” so Claudia Mehler-Wex, auch wenn sie noch nicht voll ausgelastet ist. “Wir sind mit zehn Patienten gestartet,” ergänzt Barlage, “wir wollten die Klinik ganz langsam hochfahren.” Denn: Das Team ist komplett neu, musste sich erst finden. 38 Arbeitsplätze bietet die Hemera Klinik derzeit. Später werden es um die 70 sein, wenn das Haus mit 44 Patienten in den 16 Einzel- und 14 Doppelzimmern voll ausgelastet ist. Laut Barlage wird das kein Problem sein: “Wir bekommen Anfragen aus ganz Deutschland.”

Im Moment beschränkt sich das Team der Hemera Klinik auf Selbstzahler und privat Versicherte. “Wir sind nicht im Krankenhaus-Bedarfsplan und wollen da auch nicht rein,” betont der Geschäftsführer. Die gesetzlichen Reglementierungen wären zu groß, die Klinik müsste laut Barlage therapeutisch abspecken, um die Vorgaben der gesetzlichen Versicherungen einhalten zu können.

Überwiesen werden die Patienten von niedergelassenen Psychiatern und von Allgemeinärzten. Aber auch Familien haben sich gemeldet, die einen Jugendlichen mit psychischen Problemen in ihren Reihen haben. Mindestens sechs Wochen bleiben die jungen Patienten im Haus, doch die Therapie kann auch mehrere Monate dauern. Auch nach dem stationären Aufenthalt in Bad Kissingen werden die Patienten nicht alleine gelassen, wenn weitere Beobachtung – auch über den Hausarzt – nötig erscheint.

Die erste Patientin der Bad Kissinger Hemera Klinik hat es inzwischen geschafft, ihre psychischen Probleme zu überwinden: Sie wird in den nächsten Tagen entlassen. Ein erster Erfolg für die noch junge Klinik und ihr Team.

 

09.04.2012 Von: Thomas Mäuser Saale-Zeitung